Die Natur                                   im Fokus der Fotografie

 

Unglaublich, diese Unglückshäher!

In dem folgenden Beitrag möchte ich gern über meine Erfahrungen mit dem Unglückshäher (Perisoreus infaustus) berichten, die sich bisher ausschließlich auf Begegnungen in der Natur ergaben, aber auch auf die Vogelart selbst eingehen, sowie dessen Bedeutung für die Forschung und Vogelzucht.

Junger Unglückshäher im Fulufjället-Nationalpark, Schweden. Foto: Jörg Asmus

 

Der Unglückshäher und der Mensch

Früher hatte ich schon oft davon gehört, dass Unglückshäher mitunter zu den sehr zutraulichen Vögeln gezählt werden. Darüber habe ich unter anderem auch in Brehms „Die Vögel“ aus dem Jahr 1872 gelesen: „Nilson behauptet, daß er so wenig scheu und so neugierig sei, daß er sich den Holzmachern zuweilen auf den Hut setze; andere Beobachter wissen hiervon Nichts zu erzählen; doch wird etwas Aehnliches von seinem amerikanischen Verwandten (Perisoreus canadensis) berichtet.“

Der Unglückshäher ist ein Vogel, der in den flechtenbehangenen Nadelwäldern Mittel- und Nordskandinaviens sowie der sibirischen Taiga vorkommt. Es handelt sich um einen relativ kleinen Rabenvogel, dem kleinsten der westlichen Paläarktis, der furchtlos ist und in den Wäldern oft die Gegenwart des Menschen sucht, von dem er sich schließlich den einen oder anderen Happen erhofft. Der Unglückshäher ist das Landschaftstier der schwedischen Region Norrbotten und spielt eine wichtige Rolle im Volksglauben der nordischen Völker. Die Sami glauben zum Beispiel, dass überall dort, wo sich der Unglückshäher aufhält, keine gefährlichen Tiere wie Bären oder Greifvögel in der Nähe sind und die Menschen durch den Warnruf der Vögel vor diesen Tieren gewarnt werden. Auch Jäger, die auf diesen Vogel treffen, konnten sich dem Glauben nach sicher sein, dass sie mit Beute heimkehren würden. Von diesen Menschen werden die Unglückshäher als „Glücksvögel“ betrachtet.

Lithographie aus dem Werk "Svenska fåglar" von den Brüdern Wright, 1838

An anderen Orten wird dieser Häher allerdings mit drohendem Unheil in Verbindung gebracht. Die wissenschaftliche Bezeichnung Perisoreus infaustus deutet darauf hin und heißt so viel wie „unglücksbringender Schwätzer“. Seinen deutschen Namen erhielt dieser Vogel bereits zu Zeiten des Mittelalters, als Kriege, Pest und andere Notlagen allgegenwärtig waren. Immer wenn die ansonsten nur unregelmäßig in Mitteleuropa auftauchenden Vögel in diese Gebiete zogen, wurde ihr plötzliches Erscheinen als Vorzeichen von drohendem Unheil gedeutet. Niemand wusste zu dieser Zeit, dass Unglückshäher nur bei strengen Wintern und aufgrund Nahrungsmangels ihre angestammten Gebiete verlassen. Waren die Winter in Skandinavien hart, dann lebten die Menschen in Mitteleuropa oft auch nicht sorgenfrei und so wurde dieser dann südwärts ziehende Vogel schließlich nach diesem Aberglauben benannt. Außerdem wurde der Ruf der Unglückshäher oft als „Unglücksschrei“ bezeichnet. Lorenz Oken (* 1. August 1779 in Bohlsbach; † 11. August 1851 in Zürich) weist 1837 in seinem Werk Allgemeine Naturgeschichte für alle Stände – Vögel auf eine andere Theorie hin. Er vermutet, dass der Unglückshäher zu seinem deutschen Namen kam, weil er zum großen Ärger der damaligen Vogelfänger auch größere Hühnervögel in den Fallen anfraß. „Schaden thut er dadurch, daß er die gefangenen Waldhühner aufzehrt, welche das hauptsächliche Einkommen der Innwohner ausmachen, daher mögen sie ihn auch wohl den Unglückshäher nennen.“ heißt es in diesem Buch. Die Darstellung dieses Hähers als Unglücksvogel konnte jedoch erstmals einer Schrift aus dem Jahr 1730 entnommen werden. Carl von Linnés (* 23. Mai 1707 in Råshult bei Älmhult; † 10. Januar 1778 in Uppsala) Schüler Johan Otto Hagström (* 24. Juni 1716 in Frösön; † 12. März 1792 in Linköping) schrieb das Folgende von seiner Reise ins Jämtland: „Trifft ein Schütze draußen im Wald auf den Vogel, dann wird er an diesem Tag kein anderes Tier schießen können. Sieht ein Reisender den Unglücksvogel passiert ihm tagsüber etwas Trauriges.“. Andere Zeitgenossen berichteten zu dieser Zeit, dass eine Waffe nicht mehr schussfähig wäre, wenn mit ihr zuvor ein Unglückshäher erlegt worden ist.

Unglückshäher leben gesellig im Familienverband zusammen. Foto: Jörg Asmus

Erstbeschreibung

Der Unglückshäher war eine der Arten, die Carl von Linné ursprünglich in seinem Systema Naturae aus dem Jahr 1758 beschrieben hat. Er ordnete ihn damals bereits den Krähenvögeln zu und gab dieser Spezies die wissenschaftliche Bezeichnung Cractes infaustus, die von manchen Systematikern noch bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts verwendet wurde. Laut Handbook of the Birds of the World (2018) werden beim Unglückshäher gegenwärtig 9 Unterarten unterschieden.

 

Beschreibung

Unglückshäher erreichen eine Gesamtlänge zwischen 26 und 29 cm und wiegen zwischen 80 und 95 g. Diese Häher sind nicht geschlechtsdimorph, jedoch sind die weiblichen Vögel in der Regel etwas kleiner. Die Grundgefiederfärbung ist beigebraun und der Rücken mittelgrau gefärbt. Kopf und Nacken sind mittelbraun. Aschgrau sind die mittleren Schwanzfedern, die Hand- und Armschwingen, die mittleren und großen Armdecken und der Daumenfittich. Der Bürzel, die Oberschwanzdecken und der übrige Schwanz sind rotbraun gefärbt; aber auch Teile des Flügels, wie die Handdecken. Die roten Schwanz- und Flügeldecken kommen insbesondere beim Flug zur Geltung. Die nach vorn gerichtete Befiederung am Oberschnabelansatz ist beige und setzt sich markant von der ansonsten bräunlichen Kopfbefiederung und dem schwarzen Schnabel ab. Die Augen sind dunkelbraun und die Tarsen schwarz. Juvenile Unglückshäher unterscheiden sich von den Altvögeln durch einen etwas bräunlicheren Rücken und ein glatteres Gefieder.

Der Flug der Unglückshäher wirkt leicht sowie leise und wird häufig unterbrochen durch Gleitphasen. Normalerweise bewegen sich die lebhaften Unglückshäher fliegend von Baum zu Baum und vermeiden für gewöhnlich längere Flugstrecken.

Unglückshäher geben in Folge von Schrecksituationen laute, kreischende Warnrufe von sich. Aber auch sonst haben diese Vögel ein sehr breites Register an unterschiedlichen Lauten, die ähnlich die der Eichelhäher (Garrulus glandarius) klingen. Der Gesang setzt sich aus selten wahrzunehmenden, klagenden, zwitschernden und pfeifenden Lauten zusammen, die nur in einem Umkreis von etwa 20 Metern zu hören sind. Unglückshäher sind eher ruhig und leben unauffällig sowie zurückgezogen.






Unglückshäher im Fulufjället-Nationalpark, Schweden. Foto: Jörg Asmus

Lebensraum

Von Skandinavien aus erstreckt sich das Verbreitungsgebiet dieser Häher bis in das nordöstliche China (Nordost-Heilongjiang) bzw. der Insel Sachalin. In seinem Verbreitungsgebiet ist der Unglückshäher ein ausgesprochener Standvogel. In Belarus, Estland, Lettland, Polen, Slowakei und in der Ukraine gibt es ebenfalls Bestände, jedoch zählt die Art  dort nicht zu den Brutvögeln.

Der Unglückshäher bevorzugt als Lebensraum alte Nadelbaumbestände, die reich an Baumflechten sind. Darauf weist im Übrigen auch der schwedische Artname „Lavskrika“ hin (schwedisch: Lav = deutsch: Flechte). Die von diesen Vögeln bevorzugten Altbaumbestände sind meist älter als 60 Jahre und bieten einen guten natürlichen Schutz vor Fressfeinden wie dem Sperber (Accipiter nisus). In fichtendominierenden Wäldern verbringen Unglückshäher zur Nahrungssuche mehr Zeit auf dem Boden als in vorwiegend hochstämmigen Kiefernbeständen. Dichte Waldgebiete werden eher selten aufgesucht; vorzugsweise nur von gerade ausgeflogenen Jungvögeln, die den dichten Bewuchs als natürliche Deckung nutzen.

Brutbiologie
Die Fortpflanzungsperiode beginnt bei den Unglückshähern in der Zeit zwischen Ende März und Anfang April. Nach einem Gelegeverlust ist ein Zweitgelege möglich. Am Nestbau beteiligen sich beide Paarpartner. Die Reisignester werden dicht am Stamm von Tannen, Birken oder Kiefern errichtet, nur weniger Meter über dem Erdboden. Als Nestbaumaterialien finden Äste, Zweige, Flechten und Rinde Verwendung, wobei die Brutmulde gut mit Federn von Auerhühnern (Tetrao urogallus), Birkhühnern (Lyrurus tetrix) und Schneehühnern (Lagopus) sowie mit Tierhaaren ausgepolstert wird. Mitunter kann beobachtet werden, dass Federn zur späteren Verwendung als Polstermaterial in Rindenspalten von Bäumen deponiert werden.

Das Gelege besteht aus drei bis fünf Eiern und wird allein vom Weibchen bebrütet. Die Eier haben eine cremefarbene Schale, auf der graue beziehungsweise grünlich-braune Flecken verteilt sind. Die Inkubationszeit beträgt etwa 20 Tage. Die frischgeschlüpften Jungvögel werden von beiden Paarpartner etwa 20 bis 24 Tage gefüttert. Während dieser Zeit sind die jungen Unglückshäher sehr leise, um von Fressfeinden nicht entdeckt zu werden. Kommt es dennoch zu Störungen an dem Nest, versuchen die Altvögel anwesende Feinde vom Neststandort wegzulocken, indem sie sich auf den Boden begeben und dort beginnen zu „verleiten“. Sie stellen sich flügellahm und führen den Eindringling auf diese Weise ein Stück vom Nest fort. Danach fliegen die Eltern in einem großen Bogen zu dem Gelege oder den Jungvögeln zurück.

Krähenvögel, wie Kolkraben (Corvus corax) und Dohlen (C. mondedula) sind häufig die Hauptgründe für eine misslungene Aufzucht bei den Unglückshähern, aber auch Eichhörnchen (Sciurus). So hat sich gezeigt, dass Bruterfolge in Gegenden nahe von Mülldeponien und auch Wohngebieten, in denen auch andere Rabenvögel anzutreffen sind, geringer sind. Unglückshäher waren zudem erfolgreicher in dichten Altwäldern als in fragmentierten Nadelwaldbeständen.

Die Alttiere und ihr Nachwuchs bleiben längere Zeit in Familiengruppen zusammen, zu denen aber auch Jungvögel gehören können, die in anderen Gruppen geboren wurden. Die Familiengruppen teilen sich dann ein Revier, welches in der Größe zwischen 50 und 150 ha variiert. Bis zu 4 Jahre können Nichtbrüter in einer solchen Familiengruppe bleiben, bevor sie selbst in der näheren Umgebung zur Brut schreiten. Paare bleiben ein Leben lang in einer monogamen Beziehung vereint.


Unglückshäher mit Beute. Foto: Jörg Asmus

Ernährung

Unglückshäher sind Allesfresser. Je nach Verfügbarkeit setzt sich ihre Nahrung aus Beeren (meist Heidelbeeren), Samen von Nadelbäumen, Nüssen, sowie kleineren Säugetieren, Insekten und deren Larven, Jungvögeln, Eiern, Pilzen und nicht selten sogar Aas zusammen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde darüber berichtet, dass diese Vögel auch von dem zum Trocknen aufgehängten Rentierfleisch gefressen haben.

In der Zeit von Juli bis zum ersten Schneefall legen sich Unglückshäher an verschiedenen Orten Nahrungsvorräte für den Winter an. Häufig befinden sich diese Vorräte in Bäumen in der Borke. Die Nahrung wird dabei individuell gesammelt und fast alle Unglückshäher nutzen ihre eigenen Vorräte. Ein einziger Unglückshäher ist in der Lage sich etwa 5.000 Vorratsstellen zu merken. Von den auf diese Wiese gesammelten Nahrungsvorräten werden über die kalte Jahreszeit etwa 90 Prozent gefressen, was diesen Vögeln eine unglaubliche Gedächtnisleistung abverlangt.

Um Energie zu sparen, senken Unglückshäher an sehr kalten Wintertagen ihre Körpertemperatur und sind dann außerdem sehr inaktiv.


Aus der Forschung

Dass einige Säugetierarten, Vögel und auch Fische in der Lage sind, ihnen unbekannte Geschwister zu erkennen, wurde bereits verschiedentlich nachgewiesen. Lange Zeit herrschte aber Unklarheit darüber, ob Tiere auch noch weiter entfernte Verwandte identifizieren können. Evolutionsbiologen von der Universität Zürich haben kürzlich herausgefunden, dass ausgerechnet Unglückshäher in der Lage sind, entfernter verwandte Artgenossen zu erkennen. Dies bringt ihnen Vorteile beim Teilen der Nahrung sowie bei der Partnerwahl.

Mit Hilfe von genetischen Analysen stellten die Forscher fest, dass sich Brutvögel gegenüber entferntest verwandten Unglückshähern in einem Revier wesentlich aggressiver verhalten als gegenüber ihren näheren Verwandten. Unglückshäher sind in der Lage den Verwandtschaftsgrad von Individuen fein abgestuft unterscheiden zu können. Sie erkennen verwandte Vögel, auch wenn diese keine sozialen Anhaltspunkte des Verwandtschaftsgrades besitzen, beispielsweise wenn sich diese verwandten Vögel erst zu einem späteren Zeitpunkt der Gruppe anschließen. Diese Entwicklung basiert sehr wahrscheinlich auf das durch Kooperation geprägte Sozialverhalten der Unglückshäher und bringt ihnen durchaus einen Nutzen. An verendeten Elchen oder Rentieren können sich zum Beispiel mehrere Gruppen von Unglückshähern versammeln, und in diesem Zusammenhang ist dann das Tolerieren von bekannten Verwandten ein evolutionärer Vorteil, nämlich das Futter nur mit nahen Verwandten und nicht mit den sehr entfernten zu teilen. Wer nahverwandten Individuen hilft, fördert schließlich die Verbreitung des eigenen Erbgutes. Bei der Partnerwahl bevorzugen Unglückshäher dann aber nicht verwandte Partner, was wiederum der Variabilität innerhalb einer Spezies dienlich ist. Was die Unglückshäher in die Lage versetzt, den Verwandtschaftsgrad von entfernt verwandten Artgenossen zu erkennen, ist jedoch noch nicht geklärt.

Nach Warnrufen von vertrauten Gruppenmitgliedern erfolgt eine sofortige und langanhaltende Fluchtreaktion. Foto: Jörg Asmus

Aber auch an anderer Stelle erwiesen sich diese Vögel als gute Studienobjekte. Unglückshäher verfügen über ein breites Repertoire an Warnrufen und nutzen diese Lautäußerungen auch dazu, um nahrungskonkurrierende Artgenossen zu täuschen. So bringen sie die Mitglieder anderer Gruppen mithilfe des Habicht-Warnrufes dazu, zu flüchten und so an deren Nahrung zu gelangen. Allerdings unterscheiden die Unglückshäher zwischen solchen Warnrufen von (auch ehemaligen) Gruppenmitgliedern und denen der ihnen unbekannten Individuen. Versuche haben gezeigt, dass bei Rufen von vertrauten Gruppenmitgliedern eine sofortige und auch langanhaltende Fluchtreaktion erfolgte. So brauchten die Versuchstiere in diesem Fall durchschnittlich 0,3 Sekunden zum Fliehen und kamen erst nach etwa 8 Minuten zurück zu der vorigen Futterstelle. Die gleichklingenden Warnrufe von Nachbarn oder unbekannten Individuen wurden hingegen weitestgehend ignoriert und führten zu einer langsameren Fluchtreaktion bzw. einer schnelleren Rückkehr zum Futterplatz. Hier dauerte es im Durchschnitt 15 Sekunden bis zur Flucht und bereits nach etwa 3 Minuten waren die Häher wieder zurück am alten Platz. Unglückshäher vertrauen demnach ausschließlich den Rufen ihrer Gruppenmitglieder, also ihren Kooperationspartnern. Dieses selektive Vertrauensverhalten steigert die Fitness der Unglückshäher mehr, als wenn sie auf jeden Warnruf ihrer unbekannten Artgenossen sofort reagieren würden. So kommen falsche Warnungen von konkurrierenden Artgenossen etwa jeden fünften Tag vor, aber zu einer tatsächlichen Bedrohung durch einen Habicht kommt es hingegen nur etwa alle 8,5 Monate.

Dass Unglückshäher längere Zeit (bis zu 4 Jahre) in einem Familienverband leben, bevor sie selbst zur Brut schreiten, wurde weiter oben bereits erwähnt. Forscher haben nun herausgefunden, dass auch dies Vorteile mit sich bringt. Nichtbrüter, die länger bei ihren Elterntieren bleiben, lernten schneller Fressfeinde zu erkennen oder auch verstecktes Futter besser zu finden, da sie ihre Eltern über längere Zeit genauer beobachteten. Ein längeres Familienleben wirkt sich aufgrund der damit verbundenen längeren Lernzeit nicht nur positiv auf die gesamte Lebensdauer des Individuums aus; es fördert zudem über Generationen, dass Jungvögel schwierige Fertigkeiten erwerben können und lebenswichtige Nahrungsressourcen erschließen, und somit auch größere Gehirne entwickeln. Dies erhöht schließlich die Überlebenschancen und erlaubt es Arten neue Lebensräume zu besiedeln. Grundvoraussetzung dafür ist, dass die Alttiere derart lange Lernprozesse tolerieren und unterstützen. Hinzu kommt, dass Rabenvögel wie auch wir Menschen die Fähigkeit besitzen, durch lebenslange Lernprozesse eine flexible Art der Intelligenz zu entwickeln, die es Individuen erlaubt, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen.

Gefährdung und Bedrohungsstatus
Der Unglückshäher ist weitverbreitet. In Europa gilt die Population derzeit mit 460.000 bis 761.000 Individuen als stabil. Die großflächige Fortwirtschaft beeinträchtigt die Population durch Fragmentierung der vorhandenen Waldflächen und die Schaffung von gleichaltrigen Baumbeständen ohne Unterholz. So wurden in den zurückliegenden 30 Jahren beispielsweise in einigen Gebieten Schwedens große Populationsschwankungen beobachtet. Von der IUCN wird der Unglückshäher gegenwärtig in der Roten Liste gefährdeter Tier- und Pflanzenarten als Least Concern (nicht gefährdet) aufgeführt.

Unglückshäher in Menschenhand
Dieser Häher spielte für die Haltung in Menschenhand bisher kaum eine Rolle. Aus der Zootierliste (www.zootioerliste.de, Zugriff: 28.01.2024) ist zu entnehmen, dass diese Spezies derzeit in keinem europäischen Zoo gehalten wird. Als ehemalige Haltungen sind dort der Zoo Helsinki und London, der Zoopark Oktemtsy in Russland sowie die beiden Berliner Einrichtungen aufgeführt. Haltungsberichte sind selten. Der englische Naturwissenschaftler John Wolley (* 13. Mai 1823; † 20. November 1859) erhielt zu Lebzeiten 5 lebende Unglückshäher und wusste zu berichten, dass deren Fang mit der Schlinge keinerlei Schwierigkeiten bereitete. Die Eingewöhnung im Käfig war umso problematischer. In Brehms Tierleben (1927) heißt es dazu: „Lebhaftere und listigere Vögel als sie kann es, wie der Genannte glaubt, nicht geben. In Stockholm erregten die Gefangenen Bewunderung. Ihre weittönenden und mannigfaltigen Stimmlaute hielten alle Buben in beständiger Aufregung. Die Knaben versuchten die Stimmlaute der Häher nachzuahmen, und diese antworteten wiederum jenen.“. Weitere Einzelheiten zu Haltung oder Fütterung wurden in der damaligen Veröffentlichung nicht aufgeführt.

Besuch beim Fotografen. Foto: Ramona Heuckendorf

Schlusswort

Jeder Leser, der sich in dem Verbreitungsgebiet der Unglückhäher aufhält, sollte sich unbedingt auf die Suche nach diesen interessanten Vögeln begeben. Die Vertrautheit dieser Vögel überrascht immer wieder selbst „vogelunerfahrene“ Menschen und kann dadurch sehr viel Freude bereiten. Natürlich qualifiziert sich der Unglückshäher aufgrund der kaum vorhandenen Scheu auch zu einem hervorragenden Fotoobjekt. Der lange Ansitz im Fotoversteck erübrigt sich bei diesen Vögeln. Die Gegenwart des Menschen wird von den Unglückshähern in aller Regel akzeptiert und meist halten sich die Häher auch für einige Minuten im nahen Umfeld auf. Oft erscheint es auch so, dass die Gegenwart des Menschen von einigen dieser Vögel bewusst gesucht wird, da sie sich den einen oder anderen Leckerbissen erhoffen. Tatsächlich ist es so, dass man die Unglückshäher für lange Zeit an sich binden kann, wenn man ihr Lieblingsfutter bei sich hat und die Tiere zudem hungrig sind. Ich habe es schon geschafft die Aufmerksamkeit einer Gruppe Unglückshäher über 3 Stunden lang auf mich zu ziehen, oder eher auf die über diesen Zeitraum immer wieder einmal angebotenen Futterstücken. Solange diese Vögel sahen, dass sich noch etwas Fressbares in der Tüte befand, solange blieben sie auch in der Nähe. Auf diese Weise ließen sich die Unglückshäher sogar zielgenau zu den Stellen locken, wo ich sie gern fotografieren wollte. Einige Ergebnisse derartige Fotoausflüge sehen Sie in diesem Beitrag.


Jörg Asmus, Kalmar (Schweden)



Literatur:
Brehm, A.E. (1927): Brehms Tierleben, Vögel. Bd. 17. Hamburg: Gutenberg-Verlag
Brehm, A.E. (1872): Die Vögel. Bd. 2. Hildburghausen: Verlag des Bibliographischen Instituts
Cunha, F.C.R. & M. Griesser (2021): Who do you trust? Wild birds use social knowledge to avoid being decided. Sciene Advances. Vol. 7, Issue 22.
Linné, C. von (1758): Systema naturae. 10. Auflage
Madge, S. (2018): Sibirian Jay (Perisoreus infaustus). In: del Hoyo, J., Elliott, A., Sargatal, J., Christie, D.A. & de Juana, E. (2017): Handbook of the Birds of the World Alive. Barcelona: Lynx Edition.
Griesser, M., Halvarsson, P., Dobniak, S.M. & C. Vila (2015). Fine-scale kin recognition in the absence of social cues in the Siberian jay, a monogamous bird species. Molecular Ecology.
Oken, L. (1837): Allgemeine Naturgeschichte für alle Stände – Vögel. Stuttgart: Hoffmansche Verlags Buchhandlung
Ulfstrand, S. (2007): Fågelliv. Lund: Ellerström
Uomini, N.; Fairlie, J.; Gray, R. D. & M. Griesser, M (2020): Extended parenting and the evolution of cognition. Philosophical Transactions of the Royal Society of London, Series B: Biological Sciences 375 (1803)



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