Kann die Vogelfotografie der Wissenschaft nutzen, z. B. im Rahmen der Bürgerwissenschaften?
In den letzten Jahren macht in bestimmten Bereichen immer wieder einmal ein Begriff auf sich aufmerksam, mit dem wissenschaftliche Forschungsprojekte unter Mithilfe von oder auch komplett durch interessierte Laien durchgeführt werden. „Citizen Science“ wurde als Begriff Mitte der 1990er-Jahre definiert und dient seitdem unter anderem die Wissenschaft für die Gesellschaft zu öffnen. Die Bezeichnung „Citizen Science“ selbst ist zwar relativ neu und klingt ohne Zweifel modern, jedoch findet die „Bürgerwissenschaft“, die sich hinter dieser Begrifflichkeit verbirgt, ihren Ursprung lange vor dem Ende des 18. Jahrhunderts, als Universitäten noch nicht den modernen Wissenschaftsbetrieb gewährleistet haben. Es war aber bei Weitem nicht so, dass die Bürgerforschung ab dieser Zeit, bis in die 1990er-Jahre hinein, gar keine Rolle mehr in der Wissenschaft spielte. Im Gegenteil, denn bereits im 19. Jahrhundert entstanden zum Beispiel bürgerschaftlich getragene wissenschaftliche Vereine zur Naturkunde, die oft auch selbstbestimmten Forschungsprogrammen folgten, welche sich allerdings nicht immer an genau dem Wissen orientierten, das an den Universitäten gelehrt wurde. Auch auf andere Weise nutzten Wissenschaftler in der Vergangenheit Kontakte zu Nichtakademikern, man denke dabei nur an Charles Darwin (1809-1882), der in Verbindung zu Tierzüchtern stand, um von ihnen Informationen über Zucht- und Kreuzungsbesonderheiten zu erhalten. Oder auch an die Verknüpfung von wissenschaftlich motivierter Vogelhaltung und Verhaltensbeobachtung an handaufgezogenen Vögeln, wie sie von Oskar (1871-1945), Magdalena (1883-1932) und Katharina (1897-1989) Heinroth in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts praktiziert wurde, und der in diesem Zusammenhang entstandene fachliche Austausch mit Wissenschaftlern, wie zum Beispiel Konrad Lorenz (1903-1989). Dies nur stellvertretend für einige Beispiele aus der Vergangenheit, die eine Verbindung von Wissenschaftlern und wissenschaftlichen Laien in Teilbereichen der Ornithologie aufzeigen sollen (Töpfer 2021).
Rotfußfalke (Falco vespertinus). Foto: Jörg Asmus
Auch in der Gegenwart können wichtige Erkenntnisse aus der Vogelhaltung ohne Zweifel auch für die Forschung von Nutzen sein. Ansatzpunkte gibt es dabei genug. Aber nicht nur in der Vogelhaltung! Sicherlich haben auch Sie schon einmal von der jährlich stattfindenden NABU-Aktion „Stunde der Gartenvögel“ gehört, bei der jedes Jahr am zweiten Maiwochenende alle Naturliebhaber dazu aufgerufen werden, Vögel zu notieren und zu melden. Auch die Datensammlungen zu Vogelsichtungen wird nach wie vor stark von Hobbyornithologen beeinflusst, die heutzutage über Meldeportale wie „Ornitho.de“ oder der App „NaturaList“ einfach anwendbar und recht modern geworden sind und jedem ornithologisch interessierten Menschen eine Möglichkeit bieten sich in der Forschung und beim Artenschutz nützlich zu machen. Über derartige Meldeportale erfährt man zum Beispiel mehr über die Verbreitung von verschiedenen Vogelarten und aktuelle Ergebnisse wie den Vogelzug, auch Wissenschaftler von Forschungseinrichtungen interessieren sich dafür. Welche Rolle kann nun aber die Vogelfotografie im Rahmen von Citizen Science spielen?
Nicht nur auf der schwedischen Insel Öland ist es mir in der Vergangenheit das eine oder andere Mal gelungen solche Irrgäste selbst im Bild festzuhalten. Am 12.09.2019 gelang es mir dort einen Rotfußfalken (Falco vespertinus) zu fotografieren. Das europäische Verbreitungsgebiet (Brutgebiet) dieser Spezies befindet sich in Südrussland sowie der Ukraine, aber jährlich werden einige Individuen auch auf Öland gesichtet. Interessanterweise spricht sich auch hier in Schweden (oder vielleicht auch besonders dort) das Vorhandensein von solchen gebietsbedingt ungewöhnlichen Sichtungen sehr schnell herum. Auch hier gibt es entsprechende Meldeportale und die Hobbyornithologen sind sehr gut vernetzt.
Oft sichtet man auf Öland auch den Gelbbrauen-Laubsänger. An der Vogelfangstation Ottenby im Süden der Insel verirrte sich 2020 ein Exemplar nicht nur genau dorthin, sondern über mehrere Tage hinweg flog der beringte Vogel regelmäßig immer wieder in die Fangnetze der Ornithologen. Gelbbrauen-Laubsänger sind eigentlich Vögel der Taigazone der östlichen Paläarktis von Jakutien und Ussuriland nach Westen bis in den nördlichen Ural. Die Überwinterungsgebiete befinden sich in den Subtropen und Tropen von Südostasien bis nach West- und Nordost-Indien.
Ringelgänse auf Öland, Schweden (B. b. hrota). Foto: Jörg Asmus
Ringelgans auf Öland, Schweden (B. b. bernicla). Foto: Jörg Asmus
Am 12.10.2020 befand sich auf Süd-Öland innerhalb einer Gruppe von 25 Ringelgänsen (Branta bernicla) ein Exemplar, dass farblich von den anderen abwich. Es handelte sich dabei um die Unterart B. b. hrota, die hellbäuchige Ringelgans, die eigentlich in den Gebieten Westkanadas, Nordgrönlands, Spitzbergens und des Franz-Joseph-Lands ihren Verbreitungsschwerpunkt findet. Die Überwinterungsgebiet dieser Subspezies liegen an der Küste Südostenglands. Immer wieder kommt es zu solch außergewöhnlichen Beobachtungen auf Öland, so dass dieser Ort innerhalb Schwedens durchaus zu einem Eldorado für Vogelbeobachter gezählt werden kann.
Silberreiher (A. a. modesta) im NSG Große Rosin, Deutschland. Foto: Jörg Asmus
Aber auch in Deutschland ist mir vor einigen Jahren ein Foto von einem Silberreiher (Ardea alba) gelungen, das immer noch Fragen aufwirft. Entgegen den häufig in Deutschland vertretenen Silberreihern hatte dieses Exemplar rote Beine und eine etwas andere Färbung der nackten Gesichtshaut. Aus diesen sichtbaren Merkmalen ließ sich das von mir fotografierte Exemplar auf den ersten Blick als Angehöriger der Unterart A. a. modesta identifizieren. Nach einigen Recherchen stellte sich heraus, dass über die Jahre bereits mehrere Fotos von derartig gefärbten Silberreihern in Teilen Europas gemacht worden sind und auch Spezialisten mehrfach versuchten dieses Phänomen zu klären. Allerdings ist man sich in der Wissenschaft noch nicht so richtig einig, womit das Auftreten solcher Individuen erklärt werden könnte. Eine hormonelle Störung wird vermutet oder auch eine Form der Mutation, eventuell muss die systematische Trennung der Silberreiher-Unterarten auch noch einmal überdacht werden, vielleicht handelt es sich ja auch um entwichene Gefangenschaftsvögel oder tatsächlich um Irrgäste. Verwirrend! Letztendlich wartet man nun auf eine Klärung durch genetische Untersuchungen und vielleicht spielen Fotografien solcher Vögel in naher Zukunft dann doch wieder eine entsprechende Rolle bei der Gesamtbetrachtung dieser Beobachtungen (Asmus 2017).
Gelbbrauen-Laubsänger (Phylloscopus inornatus). Foto: Jörg Asmus
Farbabweichung bei einem Kormoran (Phalacrocorax carbo). Foto: Jörg Asmus
Um 09.43 Uhr geschah dann etwas Außergewöhnliches. Wie auf Kommando fanden sich alle sieben Zaunkönig-Junge gleichzeitig unter einem umgestürzten Baum zusammen, alle Jungvögel, die ich bis dahin gezählt habe. Sie schmiegten sich eng aneinander und schlossen schließlich die Augen. Insgesamt sechsmal wurden die Jungen dann innerhalb einer dreiviertel Stunde von den Eltern mit Insektenlarven versorgt. Die kurzen Fütterungsphasen wurden stets von längeren Ruhephasen unterbrochen. Um 10.27 Uhr verließen alle sieben Jungvögel diesen Ort und setzten ihr zuvor gezeigtes Verhalten fort.
Zaunkönige (Troglodytes troglodytes) im Göljån-Tal. Fotos: Jörg Asmus
In diesem Zusammenhang muss vielleicht erwähnt werden, dass nach meinen Beobachtungen keiner der Elterntiere den Nachwuchs an diese Stelle unter dem Baum gelockt hat. Es hat sich auch nicht um das verlassene Nest gehandelt und aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen war nicht zu vermuten, dass sich die jungen Zaunkönige zum gegenseitigen Wärmen zusammengefunden hatten. Aus Berichten habe ich entnommen, dass sich Zaunkönige mit dem Einsetzen erster Fröste während der Nachtzeit zu Schlafgemeinschaften zusammenfinden. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass sich bis zu 20 Individuen in einem alten Nest oder Nistkasten versammeln, um sich gegenseitig zu wärmen und so die kalten Winternächte zu verbringen. Über das hier beschriebene Verhalten junger Zaunkönige habe ich in der mir zugänglichen Literatur jedoch keine weiterführenden Hinweise finden können.
Ich habe am 01.06.2020 eine ähnliche Beobachtung machen und diese auch im Bild festhalten können. An diesem Tag befand sich gegen 06.10 Uhr eine Gruppe von etwa 30 Feldsperlingen auf dem Boden am Futterplatz in unserem Garten. Darunter waren zu einem Drittel etwa auch flugfähige Jungvögel zu erkennen. In unmittelbarer Nähe befanden sich des Weiteren auch 6 Dohlen auf dem Boden. Die sich der Feldsperling-Gruppe schnell nähernden Dohlen wurden sofort als Gefahr wahrgenommen, was immer wieder sofort zu einer fluchtartigen Vergrößerung der Distanz bei den Feldsperlingen führte. Eine Dohle näherte sich hingegen wesentlich langsamer, scheinbar fortwährend nahrungssuchend, einem noch unerfahrenen jungen Feldsperling. In der Nahdistanz erfasste die Dohle den Feldsperling dann schließlich durch eine schnelle Bewegung mit ihrem Schnabel am Hals und drückte ihre Beute sofort auf den Boden. Kurz darauf erfasste die Dohle den Feldsperling mit einem Fuß und zog den jungen Sperling, immer noch mit ihrem Schnabel am Hals der Beute, zu sich und flog einen kurzen Augenblick später mit dem tödlich verletzten Feldsperling davon. Auch wenn diese Darstellung womöglich ein trauriges Beispiel für eine Fotodokumentation aufzeigt, sind solche Szenen doch auch Teil der Natur.
Dohle (Corvus monedula) beim Kröpfen eines Feldsperlings. Fotos: Jörg Asmus
In Anglerkreisen wird hin und wieder berichtet, dass Höckerschwäne (Cygnus olor) auch Fisch fressen. Dabei soll es sich dann um Köderfische handeln oder auch geangelte Kleinfische, die vom Angelhaken gefallen sind. Handelt es sich bei solchen Erzählungen um Anglerlatein, denn nach den Angaben in der Fachliteratur (Rutschke 1988, Kolbe 1999) ernährt sich der Höckerschwan doch von Grünteilen, Samen und Rhizome der Sumpf- und Wasserpflanzen und den sich daran befindlichen Muscheln, Schnecken und Wasserasseln? Auf der Internetpräsentation vom Schwanenschutz-Komitee e.V. (https://www.schwaneschutz-komitee.de) heißt es: „Schwäne sind Vegetarier und fressen weder Fische noch Fischlaich. Bei entsprechenden Untersuchungen wurde in Mägen von Schwänen weder Fische noch Fischlaich gefunden (nachzulesen in dem Buch des renommierten Biologen Prof. Dr. rer. Nat. Erich Rutschke, über Biologie – Ökologie und Verhalten der Höckerschwäne).“ Tatsächlich findet man vornehmlich auf englischsprachigen Internetseiten aber Fotos, auf denen zu erkennen ist, dass einzelne Höckerschwäne einen Fisch im Schnabel halten und diesen scheinbar hin und her schleudern. Ich selbst habe am 13.09.2016 einen Höckerschwan in dem Überschwemmungsgebiet Große Rosin (Mecklenburg-Vorpommern) beobachten können, wie dieser eine Rotfeder (Scardinius erythrophtalmus) teilweise verzehrte. Der Schwan schleuderte den toten Fisch ebenfalls durch schnelle Bewegungen immer wieder hin und her, bis sich kleinere Fleischstücke lösten, die der Vogel dann herunterschluckte. Auch mir gelang es dieses Verhalten im Bild festzuhalten. Zu diesem Verhalten des Höckerschwans bin ich bei meinen Recherchen auch auf andere Quellen gestoßen, die meine eigenen Beobachtungen in Teilen bestätigten.
Höckerschwan (Cygnus olor) mit einem Fisch als Nahrung. Foto: Jörg Asmus
Jörg Asmus, Kalmar (Schweden)
Literatur:
Asmus, J. & Witt, H. (2016): Saisonale Schnabelumfärbung bei Sonnenvögeln, Teil 1. Gefiederte Welt 140 (10): 16-19
Asmus, J. & Witt, H. (2016): Saisonale Schnabelumfärbung bei Sonnenvögeln, Teil 1. Gefiederte Welt 140 (11): 22-25
Asmus, J. (2017): Der Silberreiher Ardea alba in unserer Breiten – es wird interessant. GAV-Journal 10: 25-31
Dwenger, R. (1989): Die Dohle. Die Neue Brehm-Bücherei
Kolbe, H. (1999): Die Entenvögel der Welt. Ulmer-Verlag
Pfützke, S. (2013): Vogelzug: Irrgäste sind das Salz in der Suppe der Vogelbeobachter, Vögel-Newslettter
Rutschke, E. (1988): Die Wildenten Europas – Biologie, Ökologie, Verhalten. Aula-Verlag
Töpfer, T. (2021): Die Zusammenarbeit von ornithologischer Forschung und Vogelhaltung. In: Lantermann, W. & Asmus, J (2021): Wildvogelhaltung. Springer Nature (im Druck)
van Grouw, H. (2013): What colour is that bird? The causes and recognition of common colour aberrations in birds. British Birds 106: 17-29
Zedler, A. (2015): Farbabweichungen bei Vögeln – der aktuelle Wissensstand. Vogelwarte 53: 85-92