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Stora Karlsö - aktiver Vogelschutz in der Ostsee

 

Der Yellowstone in den USA ist für viele Menschen nicht nur „der“ Nationalpark schlechthin, er ist auch gleichzeitig der älteste seiner Art weltweit, gegründet am 01. März 1872. Kaum jemand weiß, dass sich der zweitälteste Nationalpark inmitten der Ostsee befindet. Die Rede ist von „Stora Karlsö“, einer 2,5 km² großen, unbewohnten Insel; 6 Kilometer westlich von der wesentlich bekannteren schwedischen Insel Gotland gelegen.

Stora Karlsö. Blick über den nördlichen Bereich der Insel. Foto: Jörg Asmus

Die geographische Lage der Insel bei Gotland. Der Kartenausschnitt zeigt die Vogelschutzgebiete, für die zwischen dem 15.03. und dem 15.08. eines jeden Jahres ein Betretungsverbot besteht. (Quelle vom Kartenausschnitt: https://skyddadnatur.naturvardsverket.se)

Sofern man sich mit der Seevogelforschung der Ostsee beschäftigt, so wird man dafür kaum einen besseren Ort finden als Stora Karlsö. Hier befindet sich die größte Alkenvogel-Kolonie der Ostsee sowie bedeutende Brutpopulationen der Heringsmöwe (Larus fuscus), Samtente (Melanitta fusca) und Eiderente (Somateria mollissima). 

Die Trottellummenkolonie (Uria aalge) auf der Insel setzt sich aus etwa 14.000 Brutpaaren zusammen bzw. etwa 35.000 bis 45.000 Individuen und bietet im Vergleich zu anderen Brutpopulationen im Verbreitungsgebiet dieser Spezies eine einzigartige Studienmöglichkeit. Davon konnte sich auch der Autor dieses Beitrags nun selbst überzeugen. Die meisten Trottellummen im Nordatlantik brüten vornehmlich an unzugänglichen Steilhängen und ziehen dort ihren Nachwuchs auf - an Klippen, die nicht selten hunderte Meter aus dem Meer herausragen und an denen die Vögel für uns Menschen nicht ohne Weiteres zu erreichen sind. Auf Stora Karlsö kommt man Trottellummen und auch Tordalken hingegen sehr nah, mitunter sind es dort nur 3 oder 4 Meter, die den Menschen von diesen Vögeln trennen. Wissenschaftler haben auf dieser Insel sogar eine noch exklusivere Möglichkeit die Lummen aus nur einigen Zentimetern Entfernung zu beobachten, dazu aber später mehr.

Geschichtliches zur Insel
Stora Karlsö weist, außer an der Südseite, steile Kalksteinwände auf, die an einigen Stellen bis zu 45 Meter hoch sein können. Diese bildeten sich vor mehr als 400 Millionen Jahren aus Korallenriffen und aus Meerespflanzen sowie Lebewesen, die sich zusammen mit Schlamm auf den Riffkörpern ablagerten und im Laufe von Jahrmillionen zu Kalkstein verfestigt haben. Oberhalb der Steilhänge befindet sich ein Hochplateau, das aufgrund einer langen Beweidung mit Schafen entstanden und nahezu baumlos ist. Nicht nur die Weidewirtschaft auf der Insel ist ein Zeichen dafür, dass Stora Karlsö in der Vergangenheit eine Rolle für den Menschen spielte. Ebenso weisen viele Funde aus der Steinzeit darauf hin, dass die Insel bereits vor langer Zeit bewohnt war. Schon vor 9.000 Jahren haben beispielsweise Seehundjäger dort ihre Beutetiere erlegt. Es gibt noch weitere Relikte aus der Vergangenheit, wie Steinsetzungen aus der Bronzezeit, die hier vor ca. 3.000 Jahre angelegt worden sind. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte man bei Ausgrabungen in eine der mehr als 20 Grotten auf der Insel über 7.000 Fundstücke, vornehmlich aus der Jungsteinzeit. Mehrere Gräber aus der Eisenzeit wurden entdeckt und während des Mittelalters wurde auf Stora Karlsö der begehrte rosafarbene Kalkstein abgebaut. Im 19. Jahrhundert existierten ungefähr 80 Fischerhütten auf der Insel, was auf eine weitere Nutzung durch den Menschen hindeutet. Auch Trottellummen leben vermutlich bereits seit der Steinzeit auf Stora Karlsö, worauf Knochenfunde in der Höhle „Stora Förvar“ hindeuten. In dieser Höhle wurden auch die Knochen vom ausgerotteten Riesenalk (Pinguinus impennis) entdeckt, einem nahen Verwandten der Trottellumme.

Auf Stora Karlsö stand den Trottellummen ein ähnliches Schicksal bevor, wie dem flugunfähigen Riesenalk, denn von 1860 bis 1880 entwickelte sich die Insel zu einem beliebten Ausflugsort für Jäger, die den leicht zu erlegenden Trottellummen aber auch Tordalken (Alca torda) intensiv nachstellten. Die Bestände beider Vogelarten minimierten sich in diesen Jahren der intensiven Bejagung drastisch und schließlich wurden von den Trottellummen im Jahr 1880 nur noch etwa 20 Paare gezählt. Die Situation der Trottellumme war eine der Hauptgründe dafür, dass Stora Karlsö im Jahr 1880 als eines der ersten Gebiete weltweit unter offiziellen Naturschutz gestellt wurde. Akteur war damals die Karlsö Jagt- och Djurskyddsförenings AB (Karlsö Jagd- und Tierschutzvereinigung AG). Das damals neugegründete Unternehmen stellte die Jagd und das Einsammeln der Eier ein, so dass sich die Population der beiden Arten wieder erholen konnte. Außerdem ist diese Vereinigung auch heute noch eine treibende Kraft für den Naturschutz auf der Insel und sorgt aber auch dafür, dass Stora Karlsö weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich bleibt.

Eine kleine Anmerkung am Rande: Für Linné-Interessierte mag es von Bedeutung sein, dass dieser schwedische Naturforscher sich am 12. Juni 1741 auf der Insel aufhielt und in einer späteren Schilderung angab, dass Stora Karlsö so stark beweidet wurde, dass sich nur noch ein einziger Baum auf der Insel befindet. Dabei handelte es sich um eine Esche, die sich mitten in einer Steinsetzung (Röse) befindet. Dieser Baum wurde später „Esche des Linné“ genannt und befindet sich immer noch dort.

Die Esche des Linné auf Stora Karlsö. Das Foto entstand um 1915, der Fotograf ist unbekannt.

Forschungsarbeit auf Stora Karlsö
Doch nicht nur der Naturschutz spielt eine große Rolle für die kleine Ostseeinsel, denn seit über 100 Jahren ist sie auch ein Ort der ornithologischen Forschung. 1913 wurden auf Stora Karlsö die ersten Trottellummen beringt. Dies ist eine der frühesten Beringungsaktionen in Schweden und der Beginn der wahrscheinlich am längsten andauernden Beringungsaktion der Welt. Bis zum Jahr 2021 wurden allein auf dieser Insel 85.000 Trottellummenküken beringt. Durch diese Beringungen ist unter anderem das ungefähre Höchstalter von Trottellummen bekannt geworden, das bei ca. 47 Jahren liegt. Man weiß dadurch aber auch, dass diese Vögel in großer Anzahl in Fischnetzen ertrinken, dass sie an den Folgen von Ölverunreinigungen verenden oder durch die illegale Jagd.

Eine Wissenschaftlerin bei der Kartierung von Tordalk-Nistplätzen. Foto: Jörg Asmus

Durch die großartigen Möglichkeiten für die Seevogelerforschung ist das Baltic Seabird Project seit seiner Gründung im Jahr 1997 auf der Insel aktiv. Die Wissenschaftler betreiben Feldarbeit vor Ort. Sie beringen die Vögel und untersuchen auch deren Verhalten, beispielsweise wie oft und mit welcher Nahrung Jungvögel gefüttert werden. Dadurch wurden über einen längeren Zeitraum bereits interessante Beobachtungen gemacht.

Stora Karlsö ist das wichtigste Brutgebiet für eine Vielzahl von Seevogelarten im Ostseeraum, daher hat auch die Populationsüberwachung auf der Insel eine große Bedeutung. Im Rahmen des Baltic Seabirds Projects verfolgen die Wissenschaftler Jahr für Jahr die Entwicklung von Trottellummen, Tordalken, Herings- und Silbermöwen. Bei den Alkenvögeln (Trottellumme, Tordalk) werden dafür die brütenden Individuen in einer bestimmten Anzahl von Referenzgebieten gezählt und bei den Möwenarten wird die Anzahl aktiver Nester erfasst.

Durch das Sammeln und Aufbewahren von Blutproben, Federn, Futterresten, Eiern und toten Vögeln können die Feldstudien zudem durch Untersuchungen auf molekularer Ebene ergänzt werden. So kann die Toxizität oder auch der Nährstoffgehalt des Futters für die Jungvögel gemessen und dadurch eventuell herausgefunden werden, warum sich das „Sprunggewicht“ von Trottellummenküken verändert, obwohl sie die gleiche Menge an Futter erhalten, wie in den Zeiträumen zuvor. Also immer wieder genau zu der Zeit, wenn die Jungvögel aus ihren Nestern springen.

Ein absolut herausragendes Arbeitsumfeld für die wissenschaftliche Forschung stellt sicherlich das „Trottellummenregal“ dar, wie es aus dem Schwedischen (Sillgrisslehylla) wörtlich ins Deutsche übersetzt heißt. Aus Holz- und Stahlbauteilen wurde direkt an der Steilküste, etwa 30 Meter über der Wasseroberfläche, eine Forschungsplattform errichtet, die Hunderten von Trottellummen und einigen Tordalken einen Brutplatz bietet. Die Basis für diese senkrechte Forschungsstation befindet sich inmitten einer etablierten Trottellummenkolonie und bietet den Wissenschaftlern eine einzigartige Möglichkeit die brütenden, aber auch die Jungvögel aufziehenden Seevögel, aus einer Entfernung von nur wenigen Zentimetern zu studieren.

Ornithologische Highlights
Inzwischen brüten ungefähr 70 Vogelarten auf Stora Karlsö. Den größten Teil davon nehmen die mehrere tausend Paare von Trottellummen, Tordalken aber auch Kormoranen (Phalacrocorax carbo) ein. Andere gewöhnlich vorkommende Arten sind Silbermöwe (Larus argentatus), Mantelmöwe (L. marinus), Heringsmöwe (L. fuscus) und Sturmmöwe (L. canus). Auch mehrere hundert Paare Eiderenten, nahezu 100 Paare Samtenten, Gänse- (Mergus merganser) und auch Mittelsäger (M. serrator) sowie Brandgänse (Tadorna tadorna) sind hier als Brutvögel anzutreffen. An den Ufern nisten Watvögel, wie Steinwälzer (Arenaria interpres), Rotschenkel (Tringa totanus), Austernfischer (Haematopus ostralegus), Kiebitze (Vanellus vanellus) und sogar Große Brachvögel (Numenius arquata). An den Steilhängen sind es Mehlschwalben (Delichon urbicum) und Mauersegler (Apus apus) und in Baumhöhlen brüten einige Hohltauben (Columbia oenas). Weitere interessante Singvögel sind auch Karmingimpel (Carpodacus erythrinus) und Sperbergrasmücke (Sylvia nisoria), die auf Stora Karlsö mit einigen Brutpaaren vertreten sind.


Tordalke (Alca torda) zählen neben den Trottellummen zu den gewöhnlichsten Vögeln auf Stora Karlsö. Foto: Jörg Asmus

Die weitaus häufigsten Brutvögel auf der Insel sind die Trottellummen (Uria aalge). Hier ein Exemplar beim Anflug zum Nistplatz. Foto: Jörg Asmus

Persönliche Erlebnisse auf der Insel

Im Juni 2023 habe ich meinen Plan endlich verwirklicht und bin mit Ramona, meiner ständigen Begleiterin, nach Stora Karlsö gereist, um dort vornehmlich Tordalke und auch Trottellummen zu fotografieren. Mir war bekannt, dass auf der Insel jedes Jahr zehntausende Paare dieser beiden Arten zur Brut schreiten. Auch Eiderenten zählen dort in großer Anzahl zu den Brutvögeln und Samtenten ebenfalls. Karmingimpel soll man dort hin und wieder beobachten können, und Sperbergrasmücken. Nach Abschluss der Vorbereitungen war die Vorfreude also groß, denn Alkenvögel fehlten mir bis dahin gänzlich in meinem Fotoarchiv.

Wir entschieden uns dazu, auf Stora Karlsö zu übernachten und so die vorteilhaften Lichtverhältnisse am späten Abend sowie frühen Morgen für das Fotografieren zu nutzen. In den Preis für die Bootsfahrt von Klintehamn (Gotland) nach Stora Karlsö ist immer auch eine Führung ortskundiger Guides inbegriffen. Vor allem Tagesausflügler machen davon Gebrauch, die am Vormittag auf der Insel anlanden und durch eine solche Führung viel über das Eiland erfahren möchten. Ein üblicher Tagesausflug bedeutet ca. 4,5 Stunden Aufenthalt auf der Insel, von denen man 2,5 Stunden gemeinsam mit den Guides auf einem Rundwanderweg unterwegs ist. Während eines gemütlichen Spaziergangs erhält man so zahlreiche Informationen über die Flora und Fauna von Stora Karlsö. Es bleibt außerdem genügend Zeit zum Fotografieren, zum Genießen der wundervollen Natur aber auch um Fragen zu stellen. In der verbleibenden Zeit bis zur Abfahrt des Bootes wieder zurück in Richtung Gotland kann man die Insel noch auf eigene Faust erkunden, in das kleine Restaurant direkt an der Anlegestelle gehen oder das Museum der Insel besuchen. Da wir uns im Vorfeld bereits ausführlich über die Insel informierten, haben wir uns nach unserer Ankunft direkt zu einer Stelle begeben, an der die ersten Tordalke zu erwarten waren und somit nicht an einer solchen, ohne Zweifel sehr interessanten Führung teilgenommen. Wir wurden nicht enttäuscht und nur wenige Minuten später kamen wir den ersten Tordalken sehr nahe, trotz des bestehenden Betretungsverbots im Uferbereich, an das wir uns selbstverständlich immer gehalten haben. Die Vögel zeigten wenig scheu. Auch zwei Steinwälzer ließen sich kurz darauf blicken und bei der Nahrungsaufnahme fotografieren.

Nach wenigen Minuten auf der Insel zeigten uns die Tordalke, dass sich immer noch in Brutstimmung befanden. Foto: Jörg Asmus

Die wenigen Bereiche, an denen der Inselbesucher direkt bis an das Ostseeufer darf, befinden sich an der Anlegestelle im Norden der Insel und etwa 500 Meter westlich von dort, an einer Badestelle, an der sich auch einzelne kleine Holzhäuser befinden, die zur dortigen Jugendherberge zählen. Insbesondere an dieser Stelle kommt man vor allem den Tordalken sehr nah. Aber auch einigen Eiderenten, die sich dort sogar mit ihrem Nachwuchs aufhielten. Ganz in der Nähe der Badestelle befand sich während unseres Aufenthalts auf der Insel ein videoüberwachter Bereich, der dort extra für Verhaltensstudien an Eiderenten während der Fortpflanzungsperiode eingerichtet worden ist.

Der Badesteg wurde nicht nur von den wenigen anwesenden Menschen genutzt, wobei es sich zumeist um Mitarbeiter der Forschungsstation handelte, sondern auch von einzelnen Tordalken zu einem kleinen Spaziergang. Foto: Jörg Asmus

Ein weiterer vom Betretungsverbot ausgenommener Bereich befindet sich an der Südseite von Stora Karlsö. Vom dort gelegenen zweiten Anlegeplatz geht ein nur wenige Meter breiter Weg direkt durch die Schutzzone und führt weiter in das Innere der Insel.

Wir hielten uns zunächst noch einige Stunden im ufernahen Bereich im Norden der Insel auf, stießen dort auch auf Sandregenpfeifer (Charadrius hiaticula), die auf Stora Karlsö im Vergleich zu den gotländischen Verhältnissen eine eher große Brutdichte aufweisen. Auch die Sandregenpfeifer zeigten sich dem Menschen gegenüber kaum scheu und ließen sich gut fotografieren. Ebenso Mittelsäger, die zu dieser Zeit ebenfalls mit ihrem Nachwuchs beschäftigt waren. Um 14.00 Uhr war es für uns dann an der Zeit die Unterkunft zu beziehen. Ich hatte bereits Monate im Voraus ein Zimmer im Leuchtturmwärterhaus gebucht, dass sich direkt an der Steilküste im Nordwesten der Insel befindet. Zum kostenlosen Service auf Stora Karlsö gehört es, dass man sein Gepäck als Übernachtungsgast vom nördlichen Anlegeplatz mit einem Quad zur etwa 40 m ü. NN gelegenen Unterkunft befördern lassen kann. Am Abreisetag funktioniert dies dann auch in die entgegengesetzte Richtung. Sehr praktisch, denn ansonsten müsste man seine Ausrüstung über eine etwas steilere Treppe selbst nach oben bzw. unten befördern. Entscheidet man sich für den kürzesten Weg nach oben, dann ist diese Treppe die einzige kleine Hürde, mit oder ohne Gepäck. Bei mir war es die komplette Kameraausrüstung, die sich vor allem beim Aufstieg bemerkbar machte. Aber oben angekommen entschädigte der fantastische Ausblick für diese geringfügige Strapaze. Das Besondere war aber, dass unmittelbar in der Nähe unserer Unterkunft auch die Trottellummen und Tordalke brüteten. Von der oberen Kante der Steilküste aus hatte man einen sehr guten Blick auf die Brutplätze. Zum Fotografieren der anfliegenden oder auch brütenden Vögel war diese Stelle am Nachmittag wegen des ungünstigen Sonnenstandes zunächst weniger geeignet. Aber ein Vorgeschmack auf die hoffentlich gute Lichtsituation am Abend, bis hin zum Sonnenuntergang gegen 21:40 Uhr, bekam ich auf jeden Fall schon zu dieser Zeit.

Direkt unterhalb unserer Unterkunft (40 m ü. NN) befindet sich eine Brutkolonie Trottellummen. Foto: Jörg Asmus

Aussicht von der Unterkunft aus in Richtung Süden. Foto: Jörg Asmus

Das Hochplateau von Stora Karlsö wird als Alvar bezeichnet, ein nahezu baumloses für die Landwirtschaft ungeeignetes Land mit einer dünnen Vegetationsschicht auf felsigem Kalkstein. Auffällig für ein Alvar, dass lange Zeit sich selbst überlassen blieb, ist die Ausbreitung des Wacholders (Juniperus communis), was letztendlich zu einer immer dichteren Verbuschung dieser Landschaftsform führt. Der Wacholder ist auch in weiten Teilen des Hochplateaus verbreitet. Immer wieder sahen wir im oberen Bereich von Stora Karlsö Klappergrasmücken (Sylvia curruca), eine Spezies, dessen weltweiter Bestand laut IUCN noch als „nicht gefährdet“ (Least concern) und stabil eingeschätzt wird. In Schweden, so schätzt man es ein, hat sich der Bestand dieser Grasmückenart in den letzten 10 Jahren um etwa 20 Prozent minimiert. Auf Stora Karlsö scheinen die Klappergrasmücken hingegen noch recht häufig vorzukommen.

Ein weiteres Ziel war es für uns auf dem Hochplateau nach Karmingimpeln zu suchen, die dort regelmäßig zur Brut schreiten sollen. Ein Mitarbeiter auf der Insel teilte uns mit, dass die Karmingimpel hin und wieder einmal südlich vom Leuchtturm gesichtet werden, das Gebiet nennt sich „Myren“ und ist der verwilderte Garten vom früheren Leuchtturmwärter. Bis zum Abendessen im Restaurant vertrieben wir uns die Zeit damit, nach Singvögeln Ausschau zu halten. Nach dem gemütlichen und auch reichhaltigen Abendessen war es dann endlich soweit und ich startete meine ersten Versuche fliegende Tordalke aber auch Trottellummen zu fotografieren, was sich allerdings zunächst als kleine Herausforderung herausstellte. Zum einen sind diese Vögel sehr schnell in der Luft unterwegs und zum anderen wechseln sie mitunter so plötzlich ihre Flugrichtung, dass das Verfolgen mit der Kamera zu einer wirklichen Herausforderung werden kann. Aber wir hatten ja noch enorm viel Zeit bis zum Sonnenuntergang.

Trottellumme im Flug. Foto: Jörg Asmus

Tordalk im Vorbeiflug. Foto: Jörg Asmus

Interessant zu beobachten war auch das Verhalten der Silbermöwen direkt am Brutfelsen, wie diese Räuber im langsamen Vorbeiflug ihren Blick immer über die einzelnen Brutplätze schweifen ließen, in der Hoffnung eines der Eier erbeuten zu können. Tatsächlich konnten wir des Öfteren zusehen, wie diese großen Möwen an ein Trottellummen-Ei gelangten, ein solches dann in den Schnabel nahmen, ohne es zu beschädigen, und anschließend zu einem sicheren Felsvorsprung flogen, um die Beute dort dann schnell zu verzehren.

Aufmerksam fliegt diese Silbermöwe (Larus argentatus) an einer Brutkolonie vorbei. Foto: Jörg Asmus

Auf einem Felsvorsprung in der Nähe der Brutkolonie wurden die erbeuteten Eier verzehrt. Foto: Jörg Asmus

Die Voraussetzungen für Vogelfotografen auf Stora Karlsö sind wirklich fantastisch. Man muss allerdings dazu sagen, dass wir während unseres Aufenthalts dort mit dem Wetter Glück hatten und demzufolge auf der Zufriedenheitsskala einige Punkte mehr vergeben konnten. Das Wetter ist leider meist eine der Risikofaktoren, die man natürlich nicht beeinflussen kann. Die Region Gotland zählt jedoch zu den sonnenreichsten Gegenden in Schweden! Was den Artenreichtum an unterschiedlichen Seevögeln auf einem solch kleinen Areal betrifft, ist diese Insel kaum zu schlagen. Diese Erfahrung setzte sich auch am kommenden Morgen fort. Der Wecker wurde so gestellt, dass ich um 04:00 Uhr bereits wieder mit der Kamera unterwegs sein konnte. Auf dem Weg zum bereits erwähnten verwilderten Garten bemerkte ich einen männlichen Bluthänfling (Linaria cannabina) auf einem Busch sitzend. Ich hatte die tiefstehende Sonne im Rücken, als ich mich diesem Vogel näherte. Aufgrund dessen hatte er mich wohl auch nicht wahrgenommen, denn ich konnte mich bis auf 5 Meter nähern, ohne dass der Hänfling weggeflogen ist. Vermutlich hätte ich sogar noch näher herankommen können, aber durch die Naheinstellgrenze meines Objektivs hätte ich aus einer solchen Distanz kein weiteres Foto mehr machen können. Übrigens gilt auch der Bluthänfling weltweit als nicht gefährdet. In den zurückliegenden 30 Jahren ist der Bestand dieser Spezies in Schweden aber um 56 bis 72 Prozent zurückgegangen, wobei er sich in den letzten 10 Jahren wieder nahezu stabilisiert hat. Ein kleiner Hoffnungsschimmer für Fortbestand dieses Körnerfressers im Norden Europas.

Männlicher Bluthänfling (Linaria cannabina) im Morgenlicht. Foto: Jörg Asmus

Leider ist es mir nicht gelungen, einen Karmingimpel in akzeptabler Entfernung vor die Kamera zu bekommen. Wir entdeckten in dem besagten Garten zwar ein Weibchen, nur erlaubte der Sitzplatz in einem Baum und die große Entfernung kein schönes bzw. scharfes Foto. Ebenso unzufrieden war ich, dass sich ein Paar Samtenten im Gegenlicht befanden, als sie an mir vorüberflogen. So bleiben dann aber Samtenten und Karmingimpel Herausforderungen bei einem der nächsten Aufenthalte auf Stora Karlsö.

Bevor es für uns dann vor dem Frühstück wieder hinab auf Meeresniveau ging, schauten wir noch einmal an dem Brutfelsen vorbei. Die Trottellummen waren auch schon lange aktiv und genossen offensichtlich die ersten wärmenden Sonnenstrahlen. Hier bewahrheitete sich dann auch wieder, dass man sich den Trottellummen aber auch Tordalken auf nur wenige Meter nähern kann. Bei einem Exemplar war es mir aufgrund der kurzen Distanz schon nicht mehr möglich, die Trottellumme komplett aufs Bild zu bekommen. So übte ich mich dann in Sachen Portraitfotografie.


Früh am Morgen herrschte schon reges Treiben in der Trottellummen-Kolonie. Foto: Jörg Asmus

Nach unserem Abstieg trafen wir an der Badestelle auf zahlreiche Tordalke und Trottellummen, die auch wieder einen sehr geringen Abstand zuließen. So entstand auch dort noch das eine oder andere Bild. Insgesamt hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits weit über 2.000 Fotos auf meiner Speicherkarte verewigt. Dann schwamm aber noch ein Mittelsäger unbeeindruckt auf mich zu und ein Sandregenpfeifer verweilte einige Sekunden regungslos am steinigen Strand, bevor er sich lautlos davon machte. Dies waren dann schließlich meine letzten Fotos während unseres erlebnisreichen und interessanten Aufenthalts auf Stora Karlsö.


Fazit

Für Vogelfotografen aber auch für Menschen, die sich für Seevögel interessieren und das aktive Leben an einer Trottellummen- oder Tordalkkolonie erleben möchten, ist Stora Karlsö von März bis September ein absolut empfehlenswerter Ort.


Ich könnte an dieser Stelle sicherlich noch ausführlich Angaben zu den besten Reisezeiten machen, zu den verschiedenen Anreisemöglichkeiten, der Unterkunftsbuchung und Verpflegung auf der Insel. Das hätte aber wahrscheinlich den Rahmen dieses Beitrags gesprengt. Der interessierte Leser darf sich jedoch gern direkt an mich wenden, um weitere Informationen zu diesen Themen zu erhalten. Am besten per E-Mail an joergasmus@hotmail.com. Sollte aber ein etwas größeres Interesse unter den GAV-Mitgliedern vorhanden sein, dann ist der Autor auch dazu bereit eine wunschgemäße Fotoreise für eine kleine Gruppe zusammenzustellen und zu begleiten. Ohne Aufpreis natürlich (!), die Reiseteilnehmer müssten nur für die tatsächlich anfallenden Kosten selbst aufkommen.

Auf eine ausführliche Literaturliste, die vornehmlich die Veröffentlichungen zu den Forschungsarbeiten auf Stora Karlsö beinhalten würde, möchte ich aus Platzgründen ebenfalls verzichten. Die Literaturangaben können aber ebenfalls gern beim Verfasser angefordert werden.


Jörg Asmus, Kalmar (Schweden)


 


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